Nichts ist unveränderlich und so gibt es auch in der Handarbeitswelt einen stetigen leisen Wandel. Dazu gehört auch die Strick-Welt, über deren rein subjektiv wahrgenommenen Wandel ich hier ein wenig erzählen möchte.
Meine ersten Kontakte zur Welt des Handarbeitens bestanden im Geräusch der Nähmaschine meine Mutter. Gestrickt wurde kaum – auch nicht von meiner Oma und Großmutter, so dass ich davon nicht wirklich etwas mitbekam.
Wie auch heute noch enthielten die Lehrpläne der Schulen der 60er und 70er Jahre das Fach „Handarbeit“ – damals ausschließlich für Mädchen. Hier wurde uns zuerst das Häkeln in Form klassischer Topflappen und dann das Stricken beigebracht. Heute werden gleichermaßen Jungen und Mädchen in früher geschlechtsspezfischen Fächern unterrichtet. Wirklich bewusst wurde mir das genau genommen erst, als ich in der Strickwelt auf Instagram männliche Stricker und Designer entdeckte. Der Olympionike Tom Daley @madewithlovebytomdaley hat sicher nicht nur die Strickwelt beeindruckt.
Mein allererstes Strickstück entstand ca 1968 im Handarbeitsunterricht: ein 2 Meter langer Schal in rot mit zwei grünen Abschnitten an den Enden und langen Fransen – ganz im damaligen Trend. Tücher, Wraps, Koldings und all die vielfältigen Designs für derartige Teile gab es nicht bzw. waren der Folklore vorbehalten. Wir strickten auf langen unhandlichen Stricknadeln – Rundstricknadeln kamen meiner Erinnerung nach erst später auf.
Damit war meine Handarbeitskarriere erst einmal beendet.
Es kamen die wilden Jahre der 68er-Generation und der Hippies der 70er. Nun wurde nicht mehr aus der Notwendigkeit heraus, sondern um der Individualität willen gestrickt und gehäkelt. Einen bleibenden Eindruck hinterließ Anfang der 70er ein knatschgrüner handgehäkelter Zweiteiler einer auch sonst sehr beliebten Lehrerin – nicht nur bei den Jungs in meinem Umfeld.
Auch meine Mutter begann wieder mit dem Häkeln: meine kleine Schwester und ich bekamen bunte Häkelwesten nach einer Anleitung in einer Frauenzeitschrift. Hier muss der Grundstein für meine heutige Liebe zu kräftigen bunten Farben gelegt worden sein. Ich fand uns todschick. Dies dürfte auch meine erste Begegnung mit schriftlichen Anleitungen gewesen sein, die zu dieser Zeit vermehrt in Frauenzeitschriften auftauchten.
Sommer 1974
Irgendwann im Laufe dieses Jahres 1974 (es war auch die Zeit, zu der Norwegerpullover total in waren) muss ich meine Mutter um Garn und Werkzeug gebeten haben, weil ich mir etwas Eigenes fertigen wollte. Auch bei den weitgehend vergessenen Grundlagen half sie mir auf die Sprünge.
Mein erstes Werk war eine gestrickte Kissenhülle aus gelben und weißen Resten, die mein erstes eigenes Zimmer unterm Dach meines Elternhauses zierte. Auch die wurde noch mit den langen unhandlichen Nadeln ohne Anleitung gestrickt.
Herbst 1974

Ab da ging es Schlag auf Schlag. Häkel-Stolas kamen auf und meine beste Freundin und ich häkelten uns unisono je eine in blau.
STola 1974

1975 wollte ich einen Häkelpullover wie sie gerade sehr in waren und bekam das türkisfarbene Garn geschenkt – heute würde man sagen „gesponsort“.
Ich häkelte ohne Anleitung oder Vorlage, einfach frei nach Schnauze. Der Pulli wurde genauso löchrig wie es damals Mode war – heute würde ich so etwas nicht mehr tragen. Es folgte dasselbe Modell in grün auch aus gesponsortem Garn. Und hier musste ich zum ersten Mal schmerzlich erfahren, dass es Sinn macht, auf das Material zu achten. Es war Wolle und überlebte die erste (Maschinen-)Wäsche nicht.
Meiner Erinnerung nach wurde damals nicht so sehr auf die Qualität des Garns und den korrekten Umgang damit geachtet. Wolle war Wolle – nix mit Merino, BFL oder den heute geläufigen Exoten wie Alpaka oder Yak.
Mohair kam auf – damals noch echt kratzig, fast wie die damalige Wolle. Dennoch ein Sehnsuchtsprodukt, aus dem ich meinen ersten Rollkragenpullover strickte - auch ohne Anleitung – und das sah man auch.
Ich wandte mich ab da mehr dem Stricken zu, weil ich es „blind“ konnte, also ohne die ganze Zeit auf das Werkstück zu gucken, wie ich es beim Häkeln tun musste.
Ab 1976, als ich es mir leisten konnte, selbst Strickgarn zu kaufen, traf man mich kaum mehr ohne Strickzeug an. Meine Freundinnen und ich strickten bei jeglichen Treffen, auf den Wegen in Bus und Bahn, sogar im Schul-Unterricht und bei Uni-Vorlesungen. Das Schöne war: es wurde toleriert!
Ich blieb dabei, vor allem ohne Anleitung zu stricken, obwohl es inzwischen sogar eigene Handarbeits- bzw. Strickzeitschriften gab. Ausnahme war eine Jacke mit Landschafts-Motiv aus herrlich flauschigem Garn, das zusammen mit der Anleitung von einer auch heute noch bekannten Frauenzeitschrift angeboten wurde.
Jacke 1981
Inzwischen waren auch Rundstricknadeln immer mehr im Gebrauch – eine Neuerung, die ich auch heute noch sehr zu schätzen weiß. Damals waren sie allerdings nur aus Plastik mit Stahlspitzen in den gängigen Längen von 60 und 80 cm. Ein enormer Fortschritt sind hier wohl die neuen Materialien wie Bambus, die verschiedenen Formen und vor allem Sets mit austauchbaren Nadelspitzen, von denen ich erst in der Strickcommunity erfuhr.
Ich strickte mich also durch Studium, und Referendariat, Partnerschaften und meine Familiengründung und entdeckte den Wollversand (es war die Zeit der großen Versandhäuser).
Garne nicht im Handarbeitsgeschäft oder einem Kaufhaus zu erwerben, war eine fast berauschende Erfahrung für mich. Die Auswahl an Materialien und Farben war für damalige Verhältnisse (Mitte der 80er Jahre) sensationell. Man begann mehr auf Details in Bezug auf Ursprung und Verarbeitung zu achten.
Erst meine erste Vollzeitstelle als angestellte Lehrerin Ende der 90er zwang mich, das Stricken vorerst aufzugeben. Beruf, Haushalt, Kinder und Krankheiten in der Familie beanspruchten einfach zu viel Zeit und Energie.
Dass ich wieder damit anfing, ist mehreren Umständen zu verdanken: die Kinder wurden größer, im Beruf wurde ich routinierter und eine 10 Jahre jüngere Kollegin (eher ein Kind der 80er) begann plötzlich, in der Schule während der Pausen zu stricken. Ich auch.
Mit dem Eintritt in die Rente hatte ich wieder mehr Zeit und endlich auch die Muße, mich im Internet umzusehen. Im März 2017 war mein erster Instagram-Account entstanden, über den ich auch auf Strick-Informationen stieß.
Seit Februar 2020 wurde ich als @edda_strickt_bunt zunehmend in der Strickcommunity aktiv.
Seither habe ich unfasslich viel Neues gelernt und erfahren.
Ich lasse ich mich inspirieren, kreiere nach wie vor meine eigenen Modelle, jetzt aber auch oft nach Anregungen anderer StrickerInnen und habe meine ersten Anleitungen geschrieben, z.B. für den #Sternpulli und den #ShiftedRaglan.
Eine bedeutende Neuerung für mich sind handgefärbte Garne. Ich liebe Individualität und Exklusivität und bewundere den Ideenreichtum der HandfärberInnen. Seither stricke ich auch Socken und inzwischen kaufe ich sogar die eine oder andere Anleitung.
Vor Ravelry – noch eine bedeutsame Veränderung der Strick- und Handarbeitswelt -schrecke ich immer noch zurück. Es gibt viel Information, aber trotz überarbeitetem Layout und sorgsam angelegten Inhalten bleibt es für mich zu unübersichtlich.
Hier wird auch deutlich, wie sich die Begrifflichkeiten verändert haben. „Brioche“ z.B. hieß damals „Patentmuster“ und meint das Gleiche.
Auch youtube ist eine sehr wertvolle Neuerung, von der man vor ein paar Jahren nur träumen konnte. Hier kann man zu so gut wie allen Themen und Fragen aus dem Strick- und Handarbeitsbereich Antworten und häufig sehr gut erstellte Beispiele finden.
Alles in allem hat sich im Laufe der letzten 50 Jahre viel in der Handarbeitswelt getan. Techniken sind vereinfacht und/oder verfeinert worden, eine größere Garnauswahl ist verfügbar, es wird Wert auf Nachhaltigkeit, Tierwohl und Umweltverträglichkeit gelegt und es gibt vielfältigeres Werkzeug. Maschenmarkierer z.B. gab es früher nicht bzw. man nutzte Büroklammern oder Hilfsfäden.
Was bleibt: es wird mit Nadeln gestrickt.
© Edda Gehrke August 2021 @edda_strickt_bunt